Chronik

Else Bräutigam - Gründerin der Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen e.V. Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen

Hilfe zur Selbsthilfe

Bereits 1961 gründete Frau Else Bräutigam (1931-2001), Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen und langjährige Vorsitzende des Vereins, gemeinsam mit anderen Betroffenen die „Selbsthilfegruppe Körperbehinderter“ (SHK). Die Gruppe wollte Hilfe zur Selbsthilfe geben, sich und andere aus der Isolation führen. Des Weiteren sollte eine Interessenvertretung gegenüber Ämtern, Kassen und Behörden aufgebaut werden. 13 Jahre später initiierte die SHK die Bildung des Arbeitskreises aller Behindertenvereine und -verbände Göttingens, der bis zur Gründung der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Behinderter (heute Beirat für Menschen mit Behinderungen) der Stadt Göttingen im Jahr 1995 aktiv war. Weitere vier Jahre später, 1978, nahm der erste Zivildienstleistende seinen Dienst auf. Sein Auftrag war es, Menschen mit Behinderung bei den alltäglichen Schwierigkeiten zu unterstützen: Die erste Form „persönlicher Assistenz“ nahm Gestalt an. 1983 wurde der Verein in das Vereinsregister eingetragen, 1984 erfolgte die Aufnahme in den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Das erste Büro wurde in der Bürgerstraße bezogen, zwei Jahre darauf ein größeres in der Prinzenstraße. In den folgenden Jahren wurde der professionelle Teil des Vereins immer größer: Bis Ende der 80-er Jahre waren bis zu 75 Zivildienstleistende beim Verein beschäftigt. Anfang der 1990-er Jahre veränderte sich die Zusammensetzung der Belegschaft gravierend: Bis dahin waren ausschließlich Zivildienstleistende in der Assistenz. Nun kamen die ersten hauptamtlichen Assistenzkräfte, unterstützt von PraktikantInnen, TeilnehmerInnen des Freiwilligen Sozialen Jahres und TeilnehmerInnen von Arbeitsversuchen zum Verein.

Professionalisierung

Es entstanden behindertengerechte Arbeitsplätze in der Verwaltung sowie in der pädagogischen Betreuung von Mitgliedern und Gruppen. Weitere Stationen der Professionalisierung: Verschiedene Rollstuhlbusse sowie rollstuhlgerechte PKW halfen in den Jahren, die Mobilität der KlientInnen zu gewährleisten. Ein Tagungshaus in Bodenfelde an der Weser wurde übernommen und einige Jahre geführt (bis 1989). Ein Tagespflegehaus in Göttingen wurde vom Verein „Herbstzeitlose e.V.“ übernommen und ebenfalls einige Jahre weitergeführt (bis 2001). 1991 schied Else Bräutigam, die „Mutter“ des Vereins, die in den 1980-er Jahren auch Ratsfrau im Rat der Stadt Göttingen war, aus dem Vorsitz aus - ihre Nachfolge übernahm Dr. Jochen Krohn. Else Bräutigam wurde noch im gleichen Jahr aufgrund ihrer Verdienste in ihrer Arbeit für Menschen mit Behinderungen Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen. 2014 wurde im Ortsteil Geismar-Treuenhagen eine Straße nach ihr benannt. 1995 veränderte sich mit Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) die inhaltliche Arbeit des Vereins: Gab es bis dahin die „persönliche Assistenz“ durch ungelernte Kräfte, die von den Betroffenen selbst angeleitet wurden, müssen seitdem Pflegefachkräfte sicherstellen, dass die „Pflege“ entsprechend der Pflegeversicherung (SGB XI) durchgeführt und dokumentiert wird.

Elsa Krauschitz Haus Neustadt 7

Im Jahr 2005 ermöglichte eine Erbschaft den Ankauf und den Ausbau zweier Etagen in der Neustadt 7. Das Büro des Vereins befindet sich seitdem im Erdgeschoss. Außerdem entstanden im Rahmen des „Elsa-Krauschitz-Projektes“ im Obergeschoss vier barrierefreie 1-Zimmer-Appartements, die an Menschen mit Behinderung vermietet werden. Das Ende des Zivildienstes im Juli 2011 bedeutete noch einmal einen tiefen Einschnitt in die Arbeit des Vereins: Nicht mehr junge Männer, die nach der Schule oder nach der Ausbildung einen vorher feststehenden Zeitraum die Assistenz unter der Anleitung der KlientInnen leisteten, sondern vor allem StudentInnen und natürlich hauptamtliche Kräfte waren nun hier tätig. Seitdem arbeitet eine wachsende Zahl von aktuell rund 140 Kolleginnen und Kollegen – tarifvertraglich entlohnt – in der persönlichen Assistenz. In der Pflege nach dem Pflegeversicherungsgesetz werden sie von zwei Pflegefachkräften angeleitet, sechs KollegInnen, zumeist in Teilzeit, kümmern sich um den ständig wachsenden Verwaltungsanteil, ein Pädagoge führt Beratungen durch und leitet die verschiedenen Gruppen des Vereins an.

50 Jahre SHK

Im September 2011 konnte ein denkwürdiges Datum gefeiert werden: 50 Jahre „Selbsthilfe Körperhinderter“. Der Verein lud Mitglieder, FreundInnen und PartnerInnen zu einem Fest in das barrierefreie Kulturzentrum „musa“ ein. Die Sozialdezernentin der Stadt Göttingen, der Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Niedersachsen, der Vorsitzende des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter sowie der Vorsitzende des Behindertenbeirates der Stadt Göttingen überbrachten die Glückwünsche und berichteten über ihre Zusammenarbeit mit dem Verein. Der Vorstand des Paritätischen überreichte die Ehrennadel an den Vorsitzenden und den Geschäftsführer.

BTHG und Teilhabeberatung

Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) setzt die Bundesrepublik Deutschland seit 2017 schrittweise die UN-Behindertenrechtskonvention um. Das neue Gesetz verändert auch den Blick auf Menschen mit Behinderung: die sogenannte "Personenzentrierung" soll jedem einzelnen helfen, trotz Einschränkung ein selbstbestimmtes Leben zu realisieren - individuelle Ziele zu formulieren und auch zu erreichen. Auch der Begriff der "Assistenz" wird dabei nun gesetzlich besonders gewürdigt.

Um Menschen mit Behinderung in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe zu stärken, hat sich die Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen e.V. schon früh um die Errichtung einer Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungsstelle (EUTB) bemüht, wie sie nun im Rahmen des BTHG aus Bundesmitteln finanziert werden. Als einer der ersten Träger bundesweit haben wir in Stadt und Landkreis Göttingen mit unseren Netzwerkpartnern daher bereits seit Januar 2018 eine derartige Anlaufstelle für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen betrieben und die ersten fünf Jahre des Angebots lebendig mitgestaltet. Unsere EUTB musste leider Ende 2022 ihre Arbeit einstellen.

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.
Der Paritatische Unser Spitzenverband